Mittwoch, 18. Juli 2012

Reaktanz und Reaktionen


Reaktanz
  • Unter einer psychologischen Reaktanz versteht man eine recht komplexe Abwehrreaktion, die als Widerstand gegen äußere oder innere Einschränkungen aufgefasst werden kann.
  • Reaktanz wird in der Regel durch psychischen Druck (z. B. Nötigung, Drohungen, emotionale Argumentführung) oder die Einschränkung von Freiheitsspielräumen(z. B. Verbote, Zensur) ausgelöst.
  • Als Reaktanz im eigentlichen Sinne bezeichnet man dabei nicht das ausgelöste Verhalten, sondern die zugrunde liegende Motivation oder Einstellung.

Reaktionen - Allgemein
  • Reaktionen im psychologischen bzw. psychiatrischen Sinne haben sehr unterschiedliche und mitunter komplexe Bedeutungen.
  • Reaktionen tauchen als Abwehrmechanismus auf, ebenso wie als Bezeichnung für eine bestimmte Schwere und Art der Depression. Aber auch eine neurotische Belastungsstörung steht in Verbindung mit einer Reaktion.
  • Die unterschiedlichen Reaktionen werden im Folgenden aufgeschlüsselt.

Reaktion als Abwehrmechanismus:
  • Abwehrmechanismen bezeichnen grundsätzlich einen unbewussten Prozess und eine unbewusste Reaktion auf eine Bedrohung, auch wenn diese objektiv nicht besteht.
  • Eine der möglichen Reaktionen besteht in der so genannten Reaktionsbildung.
  • Reaktion und Reaktionsbildung sind also zwei unterschiedliche Komponenten. Das eine meint grundsätzlich das Wesen aller Abwehrmechanismen, das andere meint einen konkreten Abwehrmechanismus.

Reaktionsbildung
  • Reaktionsbildung meint die Wendung in das Gegenteil. Wie muss man das verstehen?
  • Es bedeutet, dass eine Person eine nach außen gerichtete Erscheinung zeigt, aber im Innern, also im Unterbewussten den gegensätzlichen (unterdrückten) Wunsch hat.
Beispiel: Der Sauberkeitszwang als unbewusster Wunsch nach Chaos
  • So ist zum Beispiel der Hang oder auch der Zwang nach Sauberkeit („jemand hat einen Sauberkeitsspleen“) der eigentliche Wunsch nach Unordnung und Chaos.
  • Warum aber geht die Person dann nicht gleich der Unordnung nach? Eine berechtigte Frage.
  • Einfach ausgedrückt entsteht folgendes inneres Gedanken- und Wahrnehmungssystem: Person A kennt zum Beispiel aus den Erfahrungen der Erziehung bzw. des Kindes- und Jugendlichenalters vor allem den Wunsch der Eltern nach Sauberkeit und Ordnung. Das Kind möchte aber gerne die Unordnung ausleben, darf es aber nicht oder wird dafür bestraft. Im Erwachsenenalter nun kann es passieren, dass die Ordnung aufrecht erhalten wird, weil man sich in diesem System der Ordnung auskennt und genau weiß, was einen erwartet. Außerdem ist die Unordnung / das Chaos mit Strafe verbunden. Der Wunsch, anders zu handeln, ist immer auch die Reise ins Ungewisse und damit mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Angstgefühl verbunden.
    Wenn nun die Angst so groß ist vor der unbekannten Komponente Unordnung oder Chaos, verlässt sich Person A ganz auf den Faktor Ordnung und Sauberkeit. Denn dann hat Person A keine Angst zu befürchten. Tatsächlich aber bleibt ja der heimliche und inzwischen unbewusste Wunsch nach Unordnung und Chaos bestehen. Das aber erhöht die Angst, sei es vor einer Strafe (die er oder sie natürlich nicht mehr bekommt, der Gedanke daran aber verankert ist) oder einfach vor dem Unbekannten.
    Im Resultat steigert sich Person A so sehr in die Ordnung / in das Chaos hinein, dass sie möglichst weit entfernt von dem Angstgefühl ist. Nicht selten entwickelt man dann ein zwanghaftes Handeln, zum Beispiel in der übersteigerten Ordnungssucht oder der Sucht nach Sauberkeit. Unbewusst ist dies aber immer nur der Wunsch nach genau dem Gegenteil. Und je eher Person A spürt, dass der heimliche Wunsch eben darin besteht, desto eher wird sie der Sauberkeit / Ordnung nachgehen, auch um sich nicht selber vor sich selbst zu entblößen. Dieses Verhalten nennt man im Sinne der Abwehrmechanismen „Reaktionsbildung“.
  • So kann es unter anderem zu einer überfürsorglichen Zuwendung kommen aus Angst vor der unbewusst bestehenden aggressiven Grundhaltung. Statt dem Angst beladenen Wunsch nach Faulheit kommt es zu einer übertriebenen Geschäftigkeit. Derer gibt es unzählige weitere Beispiele.

Reaktion als Neurotische Störung - Psychoreaktive Störung
  • Im Grunde genommen ist jede neurotische Störung immer schon eine Reaktion. Denn es ist der reaktive Umgang mit einem Konflikt, dem man ausweicht oder auszuweichen versucht.
  • Daher werden neurotische Störungen auch als „psychoreaktive Störung“ bezeichnet.
  • Auch das inzwischen inflationäre Burnout-Syndrom ist eine Reaktion auf die Stressbelastung.

Reaktion auf schwere Belastungs- oder Anpassungsstörungen
  • Unter den neurotischen psychischen Störungen gibt es phobische Störungen, generalisierte Angststörungen, Zwangsstörungen, dissoziative Störungen, somatoforme Störungen und eben auch Reaktionen als „Reaktion auf schwere Belastungs- oder Anpassungsstörungen“.
  • Hierunter sind Traumatisierungen zu verstehen. Diese kann man aufteilen in akute Traumatisierungen und posttraumatische Belastungsreaktionen.
  • ICD-10: Diagnostisch fallen sie unter die Kategorie F4 in der Klassifikation psychischer Störungen nach dem ICD-10, also dem International Classification of Diseases in der 10. Auflage.
  • Unter F4 stehen: Neurotische Störungen, Belastungsstörungen, Somatoforme Störungen.

Reaktive Depression
  • Eine reaktive Depression kann als Resultat einer Anpassungsstörung auftreten.
  • Nun ist das Feld der Depression so groß und komplex, dass es an dieser Stelle nicht ausführlich und schon gar nicht umfassend geschildert werden kann (in den späteren Artikeln aber...!)
  • Eine Anpassungsstörung ist eine Reaktion auf zum Beispiel entscheidende Lebensveränderungen wie der Tod eines Angehörigen etc. Die Anpassungsstörung könnte dann darin bestehen, mit der neuen Situation nicht angemessen, also nicht „angepasst“ umgehen zu können.
  • Bei einem Trauerfall kann eine solche Belastungsstörung dann als Anpassungsstörung zu einer „reaktiven Depression“ werden.
  • Diese Art der Depression ist dann eine Reaktion auf eine akute Lebenssituation.
  • Eine Erschöpfungsdepression, auch als neurotische Depression gekennzeichnet, wird verursacht durch länger andauernde belastende Erfahrungen in der Lebensgeschichte. Diese Art der Depression nennt man dann auch reaktive Depression, inzwischen auch depressive Reaktion (nämlich als Reaktion auf ein aktuell belastendes Ereignis).
  • Im ICD-10 (International Classification of Diseases) wird die reaktive Depression unter F32 und F33 gelistet. Allerdings sind diese darin eingebettet in den jeweiligen Schweregrad einer Depression (vgl. Artikel zur Depression).
  • Im ICD-10 werden Depressionen grundsätzlich anders eingeteilt. Nicht mehr deskriptiv (beschreibend), sondern nach den Episoden, dem Schweregrad und mit oder ohne psychotische Symptome. So gibt es unter anderem: Manische Depression, Major Depression, depressive Anpassungsstörung, organische affektive Störung, somatogene Depression, bipolare Störung, Dysthymia, Zyklothymia, rezidivierende Depression usw.) (Vgl. Artikel über Depressionen).


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